Ausgangslage
Stihl stellt dem Service-Personal in den Vertragswerkstätten das sogenannte SSC – Stihl Service
Communication zur Verfügung. Darin können alle Maschinen mit einer Auflistung aller Bauteile und einer
Explosionszeichnung eingesehen werden. Außerdem kann auf weitere Informationen wie bspw. Technischen
Informationen zugegriffen werden.
Die Technischen Informationen umfassen vornehmlich Änderungsbeschreibungen zu sich ändernden Bauteilen
bzw. Bauteilgruppen, die der Service-Mitarbeiter für die Bestellung der Bauteile benötigt. Der Werkstattprozess
sieht vor, dass der Service-Mitarbeiter nach der Fehlerdiagnose an der Maschine und der Identifizierung
des Bauteils, das nachbestellt werden muss, im SSC nach dem für die Reparatur benötigten Bauteil sucht.
Dabei können im SSC mehrere Bauteile angezeigt werden, die aufgrund technischer Weiterentwicklungen
verschiedene Einschränkungen für die Verwendung haben. Bisherige Bauteile, die ab einer bestimmten
Maschinennummer durch neue ersetzt werden, sind in eben diesen Technischen Informationen erklärt, die im
SSC jedoch nur als PDF-Dokument aufgerufen werden können.
Die Informationsbeschaffung ist für den Service-Mitarbeiter dementsprechend nicht zufriedenstellend. Es
verschlingt nicht nur Zeit, die PDF herunterzuladen und zu öffnen, sondern verursacht auch einen kognitiven
Aufwand, im PDF die gewünschten Informationen zu finden, zu filtern und zu verstehen. Der Service-Mitarbeiter
möchte keine Dokumente lesen, sondern bauteilrelevante Informationen im Kontext eines Bestell- oder
Reparaturvorgangs erhalten. Dabei benötigt er Antworten auf folgende Fragen:
- Warum wurde das Bauteil geändert?
- Ist das alte Bauteil noch lieferbar?
- Ist das neue Bauteil für die vorliegende Maschine verwendbar?
- Ist die Verwendung des Bauteils von weiteren Bauteilen abhängig?
- Wenn eine Reparatur notwendig ist, muss dann eine geänderte Reparaturanleitung beachtet werden?
Zielsetzung
Die dokument- bzw. buchorientierte Erstellung von Informationen, wie sie bei Stihl bisher im CMS
TIM vornehmlich für die Gebrauchsanleitungen durchgeführt wurde, stößt in der Umsetzung von
Änderungsbeschreibungen an ihre Grenzen. Die Forderung, granulare und in sich abgeschlossene
Informationseinheiten im SSC direkt mit einem Bauteil verknüpfen zu können, führt also zu einem
Paradigmenwechsel in der Informationserstellung – weg von der Buch-Struktur und hin zur modularen Topic-
Struktur.
Die konkrete Zielsetzung des Projekts ist demnach, eine inhaltliche und strukturelle Dokumentanalyse des
buchorientierten Informationsprodukts „Änderungsbeschreibung“ durchzuführen, um die Inhalte in topicorientierte
Informationsstrukturen transformieren und in das Online-Service-Portal SSC einbinden zu können.
Gleichzeitig muss auf Wunsch von Stihl die Ausgabe einer „klassischen“ Technischen Information (also
der Zusammenstellung mehrerer Änderungsbeschreibungen, die eine Maschine betreffen) weiterhin als PDF
möglich sein.
Diese Zielformulierung wurde im Verlauf des Projekts mit dem Wunsch erweitert, den Erstellungsprozess für
Inhalte der Änderungsbeschreibung zusätzlich auch mit der bestehenden Redaktionsumgebung zu testen,
um Stihl schlussendlich einen Entscheidungsbericht vorlegen zu können, der beide Umsetzungswege (DITAbasiert
im Dateisystem & CMS-basiert mit TIM) miteinander vergleicht und schlüssig argumentierend eine
Empfehlung für den zukünftigen redaktionellen Erstellungsprozess gibt.
Analyse
Aufgrund der sprachlichen und strukturellen Mängel im Ausgangsmaterial wird zum einen das
Informationsbedürfnis des Nutzers nicht ausreichend befriedigt, da für ihn kein selektiver Zugriff auf die in
seinem Nutzungskontext benötigten Informationen möglich ist. Dadurch kommt es in der Praxis auch zu dem
Fall, dass Bauteile „auf gut Glück“ bestellt werden, ohne in dem Moment zu wissen, ob es tatsächlich auch
das Richtige ist. Das unzureichende Informationsangebot führt somit auch zu ineffizienten und aufwändigen
Betriebsabläufen zwischen den Vertragswerkstätten und Stihl. Zum anderen erhöhen die Inkonsistenzen im
Erstellungsprozess den Zeitaufwand auf Erstellungsseite.
Für die Behebung der identifizierten Mängel sollen demnach im Konzept und der Umsetzung Antworten auf
folgende Fragen gefunden werden:
- Welche Informationen braucht der Nutzer des SSC wirklich? (Nutzungsseite)
- Wie kann man die vom Nutzer geforderten und benötigten Informationen am effizientesten erstellen?
(Erstellungsseite) - Wie würde man das (technisch) umsetzen? (Erstellungsseite)
Konzeption
Grundlegende Informationsarchitektur
In der Zielsetzung des Projekts ist ausdrücklich definiert, die in einer Änderungsbeschreibung enthaltenen
Inhalte topic-orientiert zu strukturieren. Das bedeutet also, dass die Inhalte modular und informationstypisiert
in Bausteinen (engl. topics), die in sich abgeschlossen und kontextunabhängig sind, erfasst werden müssen.
Unsere neu konzipierte Informationsarchitektur berücksichtigt dabei folgende wichtigen Anforderungen:
- Ausreichend granulare Inhaltserfassung und -verwaltung. Die Topic-Orientierung hat für Stihl vor allem den
Vorteil, Inhalte wesentlich granularer erfassen und verwalten zu können. Das macht die Inhalte änderungsund
pflegeeffizient und trägt zu einer standardisierten Inhaltserstellung bei. - Schnelle und selektive Zugriffsmöglichkeit auf benötigte Informationen für den Nutzer.
Ausreichend „kleine“ Topics tragen zu einer effizienten, unkomplizierten und selektiven Aufnahme
relevanter Informationen bei. Der Nutzer spart so Zeit und wird kognitiv weniger belastet. Die
Informationsbereitstellung funktioniert nach unserem Konzept für das SSC nach dem Prinzip progressive
disclosure, also der schrittweisen Präsentation von genau den Informationen, die der Nutzer im
entsprechenden Kontext auch wirklich benötigt. - Auslagerung von Inhalten in Metadaten, die den Erstellungsprozess (in der gegebenen
Systemlandschaft) effizienter machen. Stihl verfügt durch die bisherigen Redaktionsprozesse im CMS und
in SAP bereits über eine Vielzahl an Metadaten. Die Änderungsbeschreibungen enthalten Informationen, die
normal als Inhalte eingebunden und angezeigt werden können, aber auch Informationen (z. B. Lieferbarkeit),
die in Metadaten ausgelagert werden und automatisiert die Ausgabe von standardisierten Texten auslösen
können. - Unterstützung der Technischen Redakteure im Informationsbeschaffungs- und
Inhaltserstellungsprozess. Bisher wurde seitens der Technischen Redakteure der
Informationsbeschaffungsprozess moniert, der sich als langwierig und zeitraubend entpuppt. Unser
Vorschlag würde dem Abhilfe schaffen, indem der Quelle der Informationen für eine Änderungsbeschreibung
(dem Änderungsmanager) ein Formular zur Verfügung gestellt wird, das vereinzelte Freitextfelder, aber auch
Auswahlmenüs enthält. Damit kann er die notwendigen Informationen einfach, schnell und standardisiert
erfassen und dem Redakteur zur Verfügung stellen, der die Inhalte wiederum direkt als XML ausleiten kann.
Informationsarten
In der Analyse des Ausgangsmaterials wurden folgende Informationsarten identifiziert:
- Änderungserklärung
- Änderungsabbildung
- Verwendbarkeit
- Reparaturhinweis (d.h. liegt eine geänderte Reparaturanleitung vor?)
- Lieferbarkeit
Diese Informationsarten sind in einem sogenannten Klassenkonzept definiert. Für jede Informationsart sind
dort Angaben zu den jeweiligen enthaltenen Informationen, deren Darstellung und sinnvolle Abbildung mit
dem Informationsmodell DITA festgehalten. Angereichert um diese Kriterien spricht man deshalb nicht
mehr von Informationsarten, sondern von Informationsklassen, in denen zu erstellende Inhalte für ein
Informationsprodukt eingeordnet werden können.
Die Erstellung des Klassenkonzepts erfolgt mit der Klassenkonzept-Technik - eine von Closs entworfene
dynamische Methode zur Modellierung und Standardisierung von topic-orientierten Informationsgebilden auf
der Basis von Klassen. Diese praxisnahe Methode zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass das entworfene
Klassenkonzept kein starre Vorgabe ist, sondern vielmehr flexibel und bedarfsgerecht weiterentwickelt und
an die individuellen Voraussetzungen und Anforderungen angepasst werden kann und soll. (vgl. Closs 2008:80ff) Trotz dieser Flexibilität schafft das für die Erstellung von Änderungsbeschreibungen konzipierte
Klassenkonzept also eine standardisierte Leitlinie, die konsistente Redaktionsprozesse fördern soll.
Die oben aufgeführten Informationsarten entsprechen dabei den maximal möglichen Informationen, die in
einer Änderungsbeschreibung enthalten sein können. Da es sich aber bei Lieferbarkeit oder Reparaturhinweis
anbietet, den Inhalt nicht direkt als Topic zu erfassen, sondern als Metadatum auszulagern, sind entsprechend
nur drei der fünf Informationsarten auch als Informationsklassen im Klassenkonzept definiert. Die beiden
anderen werden im parallel konzipierten Metadatenkonzept festgehalten, das um weitere klassifizierende
Metadaten angereichert wurde, die die Identifikation des Bauteils sowie der zugehörigen Maschine, für die
eine Änderungsbeschreibung gültig ist, ermöglichen.
Lösung
Basierend auf der Kombination aus Analyseergebnissen und Neukonzeption der Informationsarchitektur haben
wir die identifizierten Probleme wie folgt behoben:
- Im Allgemeinen wurde das Textuelle in einer Änderungsbeschreibung auf die Änderungserklärung reduziert.
Diese ist für (nahezu) jede Änderung eines Bauteils einzigartig und kann deshalb nicht vereinheitlicht
werden. - Für die Legende einer Änderungsabbildung wird die Legende statt mit „links“ und „rechts“ oder „oben“
und „unten“ mit „A“ und „B“ beschriftet. Das ist wesentlich universeller, ohne an Verständlichkeit zu
verlieren. Eine eventuelle Be-Igelung von Bauteilen in der Grafik selbst könnte dann wiederum mit Zahlen
vorgenommen werden. Dadurch muss nur noch der eigentliche Legendentext verfasst und übersetzt
werden. - Die Angaben zur Informationsklasse „Lieferbarkeit“ werden als Metadatum ausgelagert, sodass auf Basis
des Metadatenwerts (Ja | Nein | Bis zum Aufbrauchen der Lieferbestände) entweder die entsprechenden
Sätze generiert werden, wenn die Änderungsbeschreibung nach wie vor als PDF ausgegeben wird oder aber
das entsprechende Symbol in einer neuen Spalte im SSC angezeigt wird. - Die Angaben zur Verwendbarkeit, die vorher ebenfalls in Fließtextform vorlagen, werden für eine
übersichtliche und schnelle Erfassung in eine Tabelle ausgelagert. Dort kann die Verwendbarkeit von
bisherigem und neuem Bauteil mit seinen eventuellen Abhängigkeiten von der Verwendung mit anderen
Bauteilen oder Baugruppen je nach Gültigkeit für eine Maschinennummer eingesehen werden. - Auch der Reparaturhinweis wird in seiner textuellen Form aufgelöst und als Metadatum ausgelagert. Da
Stihl zukünftig geänderte Reparaturanleitungen von den Änderungsbeschreibungen trennen möchte, erhält
das Metadatum „Reparaturhinweis“ die neue Aussage: „Gibt es eine geänderte Reparaturanleitung?“.
Wenn dies der Fall ist, wird auf die entsprechende Anleitung verlinkt. Auch hier könnte ähnlich der Angaben
zur Lieferbarkeit eine neue Spalte im SSC integriert und mit Symbolen gearbeitet werden. Wenn die
Änderungsbeschreibung nach wie vor als PDF ausgegeben wird, muss für diese Information auf ein externes
Dokument verwiesen werden.
Umsetzung
Das vorgeschlagene topic-orientierte Erstellungskonzept wurde mit DITA und in einem TIM-Standard-Client
beispielhaft umgesetzt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse konnten so argumentativ als Vor- oder Nachteile
in den Entscheidungsbericht einfließen.
Unterstützung der Technischen Redakteure in der Informationsbeschaffung
Im Austausch mit Stihl und insbesondere mit einem der Technischen Redakteure wurde uns geschildert,
wie aufwändig doch der Informationsbeschaffungsprozess für die Erstellung einer Änderungsbeschreibung
sei. Mündlich übermittelte Informationen per Telefon, E-Mail-Korrespondenzen oder aber eigenes Fachwissen
sind die Wissensquellen - ein nicht standardisierter Prozess, der dadurch wenig zu einer standardisierten
Inhaltserstellung beiträgt.
Deshalb wird als eine gebräuchliche und praktikable Möglichkeit die Nutzung eines Formulars vorgeschlagen,
das dem Änderungsmanager zur Verfügung gestellt wird. Dieser verfügt über einen Großteil des Wissens für
die inhaltliche Befüllung der Änderungsbeschreibung, hat mit regelbasiertem Schreiben oder XML-basierter
Inhaltserfassung in einem CMS jedoch nichts am Hut.
Ein Formular ist somit das Bindeglied zwischen Änderungsmanager und Technischem Redakteur, indem
es beide Parteien gleichermaßen in ihren jeweiligen Arbeitsprozessen unterstützt. Das Formular sollte
dafür in seiner WYSIWYG-Ansicht so aufgebaut sein, dass es aus so wenig wie möglich Freitextfeldern
und so viel wie möglich Auswahlmenüs besteht. Dadurch kann für jede Informationsklasse, die in einer
Änderungsbeschreibung benötigt wird, der Inhalt mit einem maximalen Standardisierungsgrad eingetragen
werden.
Der Technische Redakteur wiederum wird dadurch unterstützt, dass hinter der CSS für die Formularmaske
eine eigene XML-Struktur liegt, die bei Eingabe von Inhalten in das Formular syntaktisch korrekt befüllt
wird. Diese XML-Struktur kann über einen XSLT-Prozess in die gewünschte Form überführt werden
(semantische Strukturen von DITA oder aber gemäß der Stihl-DTD in TIM), sodass der Technische Redakteur
bei hohem Automatisierungsgrad die Aufwände für die Informationsbeschaffung und Erstellung einer
Änderungsbeschreibung drastisch reduzieren kann. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht können so Arbeitszeit
und schlussendlich auch Geld eingespart werden.
Umgesetzt werden kann ein solches Formular mit dem kostenpflichtigen Oxygen XML Author und der Web-
Anbindung Oxygen XML Web Author, die dem Änderungsmanager bspw. zur Verfügung gestellt werden könnte,
damit dieser in der Autoren-Ansicht die Informationen komfortabel vergeben kann, ohne von XML-Tags
abgeschreckt zu werden. Oxygen bietet für die Erstellung des Formulars eigene sogenannte form controls, mit
denen Auswahlmenüs, Freitextfelder, Checkboxen etc. eingebunden werden können.
Bei entsprechender Verfügbarkeit von zeitlichen und personellen Ressourcen seitens Stihl kann auch über
die Variante eines HTML-Formulars nachgedacht werden, aus dem dann per PHP eine XML-Datei erstellt wird.
Dabei kann der Änderungsmanager das Formular bequem im Browser befüllen. Diese Möglichkeit wurde im
Projekt geprüft, konnte aus Zeitgründen jedoch nicht weiter verfolgt und abgeschlossen werden.
Verwendete Tools und Technik
- DITA 1.3
- Oxygen Editor 19.0
- Klassenkonzept
- XML
- SCRUM
Verwendete Literatur
Closs, Sissi (2008): „Flexibilität und Standardisierung: die Klassenkonzept-Technik®“. In: Muthig, Jürgen
(Hrsg.) (2008): Standardisierungsmethoden für die Technische Dokumentation. Bd. 16 : Hochschulschriften.
Lübeck : Schmidt-Römhild, 75-95
Gruppenmitglieder
- Stefan Barth
- Eva Nauerth
- Christine Wahl